Für mich stand schon während der Schulzeit fest, dass ich nach dem Abitur ins Ausland gehen und sozial aktiv werden möchte. Dafür hat sich ein Freiwilligendienst perfekt angeboten. Die Entscheidung mit ProBrasil nach Brasilien zu gehen, lag da für mich sehr nahe, da ich mit meinem Vater seit meiner Geburt Portugiesisch spreche und meine Eltern seit mehreren Jahren im Förderverein von ProBrasil Mitglieder sind. Über sie hatte ich bereits viel über die Arbeit und das große Engagement von ProBrasil gehört. Auch hatte ich 2015 einige Projekte von ProBrasil in São Paulo besuchen können und wusste ein wenig, was mich erwartet.
Im Oktober 2020, mitten in der Corona-Pandemie habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und bin nach Brasilien aufgebrochen. Die erste Zeit durfte ich in dem neuen Projekt von ProBrasil im Piauí arbeiten. Piauí liegt im Nordosten Brasiliens und gehört zu den ärmsten Bundesländern des Landes. ProBrasil bietet hier weiterbildende Kurse zu sozialen und ökologischen Aspekten für alle Generationen an. Meine Haupttätigkeit war es, Englischunterricht für Schüler, Lehrer und Guides des angrenzenden Nationalparks anzubieten. Des Weiteren haben wir cestas básicas (Lebensmittelpakete) an die bedürftige Bevölkerung der Region verteilt. Bei der Verteilung der Lebensmittelpakete sieht man in welch erschreckenden Zuständen die Menschen leben, aber gleichzeitig ist es ein ganz besonderes Gefühl, wenn man den Menschen durch die Hilfe ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Nach meiner tollen Zeit im Piauí habe ich nach São Paulo gewechselt. Die Millionenstadt stellt einen großen Kontrast zu dem sehr ländlichen Piauí dar. Aber auch hier habe ich mich dank der vielen netten und hilfsbereiten Mitarbeiter sehr wohlgefühlt. Zunächst konnte ich mir einen Überblick über die Vielzahl an Projekten verschaffen, bevor ich mich in Rücksprache mit Uwe Weibrecht entschied, im Kinderheim (SAICA) zu arbeiten. Durch die vielen gemeinsamen Aktivitäten wie Englischunterricht, Basteln oder Kochen, habe ich eine tolle Verbindung zu den Kindern aufbauen können. Die Kinder sind sehr dankbar über die Abwechslung und geben einem sehr viel an Liebe zurück.
In São Paulo habe ich zusätzlich einmal in der Woche Englischunterricht in einem der Kinderzentren (CCA Nelson Mandela) angeboten, die Kurse in dem Umweltzentrum begleitet und einen Intensivkurs Englisch in der Wohngemeinschaft für junge Erwachsene (república jovem) organisiert. Durch die vielen Möglichkeiten konnte ich meine Arbeit ganz individuell gestalten und in Rücksprache mit Uwe Weibrecht in den Projekten arbeiten, wo ich mich am wohlsten fühlte. Bei ProBrasil ist man bei entsprechendem Einsatz und der notwendigen Selbständigkeit nicht an festgelegte Aufgaben gebunden. Es ist Eigeninitiative der Freiwilligen gefragt.
Wohnen durfte ich bei meiner brasilianischen Gastmutter Rose, die mich äußerst herzlich und liebevoll in ihrer für unsere Verhältnisse recht bescheidenen Unterkunft mitten in der Favela aufgenommen hat. Dadurch konnte ich einmal mehr die Realität des Lebens in Brasilien kennenlernen. Nach einer Woche kannten mich alle Bewohner der Comunidade. Auf dem Weg zum Bus wurde ich z. B. immer wieder von den Kindern angesprochen oder von Bewohnern auf einen Kaffee eingeladen. Das Gemeinschaftsgefühl in der Favela ist unglaublich und ich bin dankbar, Teil der Comunidade geworden zu sein.
Für die Favela-Kinder haben Rose und ich gemeinsam Aktivitäten nach der Arbeit bei ProBrasil organisiert. Nachmittags haben wir gemeinsam Plätzchen gebacken, Osternester gebastelt, Pizza gemacht oder Knete hergestellt. Für die Kinder war dies das Highlight des Monats. Durch das Zusammenleben mit den Favela-Bewohnern bin ich auf einige prekäre Wohnverhältnisse aufmerksam geworden. Daher habe ich zu Weihnachten ein Video erstellt und einen Spendenaufruf gestartet. Die Aktion war sehr erfolgreich und ich konnte für eine Favela-Familie mit 6 Kindern, die auf engstem Raum zusammenlebt, Betten kaufen, da die Kinder vorher auf verschimmelten und verdreckten Matratzen schlafen mussten.
Die Arbeit bei ProBrasil hat mich sehr geprägt, und ich konnte viele Lebenserfahrungen sammeln. Auch mit Rückschlägen muss man rechnen, wenn Kinder zum Beispiel die vielen sozialen Angebote nicht wahrnehmen und lieber weiter auf der Straße leben wollen. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, viel Zeit und Liebe in die Arbeit zu investieren, denn die Kinder geben einem mindestens das Doppelte zurück. Mit einem Koffer voller neuer Freundschaften und neuer Eindrücke einer anderen Kultur reise ich glücklich zurück nach Deutschland.